Hector Berlioz in Paris 1866 zur Größe von Konzertsälen

Plazieren sie eine kleine Zahl von zusammenpassenden Personen, die etwas musikalische Kenntnis haben, in einem Salon mittlerer Größe, ohne viele Möbel und ohne Teppiche. Führen sie vor diesen Leuten ein echtes Kunstwerk eines echten, wahrhaft inspirierten Komponisten auf, ... ein einfaches Klaviertrio, z.B. das in B-Dur von Beethoven. Was geschieht? Die Zuhörer fühlen in sich mehr und mehr eine ungewohnte Verwirrung, sie empfinden eine tiefe intensive Lust, die sie bald heftig bewegt, bald in wunderbare Ruhe, in echte Ekstase versetzt. Mitten im Andante, bei der dritten oder vierten Wiederkehr jenes erhabenen und so leidenschaftlich religiösen Themas kann es einem der Zuhörer passieren, daß er seine Tränen nicht mehr zurückzuhalten vermag, und wenn er ihnen einen Augenblick freien Lauf lässt, steigert er sich vielleicht - ich habe das selber miterlebt - in heftiges, wütendes, explosives Weinen. Das ist musikalische Wirkung! Das ist ein ergriffener Hörer, ein von den Klängen der Kunst Betrunkener, ein in unermeßliche Höhen über das gewöhnliche Leben Erhobener. Er betet die Musik an; er wüßte nicht zu sagen, was er fühlt, seine Bewunderung ist unaussprechlich, und ebenso groß ist seine Dankbarkeit dem großen Dichter-Komponisten gegenüber, daß dieser ihn solchermaßen entzückte.
Und jetzt stellen Sie sich vor, daß mitten in diesem von denselben Musikern gespielten Satz der Salon allmählich größer wird und die Zuhörer von den Ausführenden wegrücken. Unser Salon ist jetzt wie ein gewöhnliches Theater. Unser Zuhörer, den die Erregung schon zu erfassen begann, wird wieder gelassen. Er hört immer noch, aber er schwingt kaum mehr mit. Er bewundert das Werk, aber durch den Verstand, nicht mehr mit dem Gefühl. Der Salon wird noch größer, der Hörer rückt noch weiter vom Klangfeuerherd weg, so als spielten die drei mitten auf der Bühne, und er säße in einer Mittelloge im ersten Rang. Er hört immer noch, kein Ton entgeht ihm, aber von der musikalischen Strömung wird er nicht mehr erreicht. Sie gelangt nicht mehr bis zu ihm; seine Verwirrung ist verflogen, er wird wieder kalt, er empfindet geradezu eine Art Beklemmung, die umso unangenehmer wird, je mehr er sich anstrengt, den Faden des musikalischen Diskurses nicht zu verlieren. Aber seine Anstrengung ist vergeblich, ihn lähmt Gefühllosigkeit, es wird ihm langweilig, der große Meister ermüdet ihn, wird ihm lästig, das Meisterwerk ein lächerliches Geräusch, der Riese ein Zwerg, die Kunst eine Enttäuschung. Er wird ungeduldig und hört nicht mehr zu.