Flügel von Johann Baptist Streicher, Wien  1870


Original von 1870, 1,86 m

Zustand nach Umbau (im 19. Jhd. gekürzt)
Dämpfung, Wirbel, Hammerköpfe & Saiten original.

Tonumfang AA - a4,
Streicher Patent-Mechanik, 2 Pedale, Hammerköpfe mit Leder

Video:

Johannes Brahms

Intermezzo E-Dur op.116,4 (1892)

Intermezzo b-Moll op.117,2 (1892)

 Intermezzo h-Moll op.119,1 (1892) 


Schubert

Schumann

Mendelssohn-Bartholdy

Chopin



Die überaus bedeutende Erfolgsgeschichte  der Familie Stein/Streicher als Clavierbauer dauerte ca. 130 Jahre und umfasste 4 Generationen. 

Johann Andreas Stein (* 6. Mai 1728 in Heidelsheim, † 29. Februar 1792 in Augsburg) begann etwa 1770 mit dem Bau von Hammerflügeln und entwickelte die „Deutsche Prellmechanik“, die später immer „Wiener Mechanik“ genannt wird. Am 12. Oktober 1777 besucht Mozart (zusammen mit seiner Mutter auf der Reise nach Paris) die Werkstatt Steins und ist begeistert von diesen neuen Clavieren. Er schreibt an seinen Vater Leopold:
"Nun muß ich gleich bey die steinischen Pianoforte anfangen. Ehe ich noch vom stein seiner arbeit etwas gesehen habe, waren mir die spättischen Clavier die liebsten; Nun muß ich aber den steinischen den vorzug lassen; denn sie dämpfen noch viell besser, als die Regensburger. wenn ich starck anschlage, ich mag den finger liegen lassen, oder aufheben, so ist halt der ton in dem augenblick vorbey, da ich ihn hören ließ. ich mag an die Claves kommen wie ich will, so wird der ton immer gleich seyn. er wird nicht schebern, er wird nicht stärcker, nicht schwächer gehen, oder gar ausbleiben; mit einem wort, es ist alles gleich. es ist wahr, er giebt so ein Piano forte nicht unter 300 f: aber seine Mühe und fleiß die er anwendet, ist nicht zu bezahlen. seine instrumente haben besonders das vor andern eigen, daß sie mit auslösung gemacht sind. da giebt sich der hunderteste nicht damit ab. aber ohne auslösung ist es halt nicht möglich daß ein Piano forte nicht schebere oder nachklinge; seine hämmerl, wen man die Claves anspielt, fallen, in den augenblick da sie an die saiten hinauf springen, wieder herab, man mag den Claves liegen lassen oder auslassen. wen er ein solch Clavier fertig hat, (: wie er mir selbst sagte:) so sezt er sich erst hin, und Probirt allerley Pasagen, läüffe und springe, und schabt und arbeitet so lange bis das Clavier alles thut. denn er arbeitet nur zum Nuzen der Musique, und nicht seines nuzens wegen allein, sonst würde er gleich fertig seyn. Er sagt oft, wenn ich nicht selbst ein so Paßionirter liebhaber der Musick wäre, und nicht selbst etwas weniges auf dem Clavier könnte, so hätte ich gewis schon längst die gedult bey meiner arbeit verloren; allein ich bin halt ein liebhaber vom instrumenten die den spieller nicht ansezen, und die dauerhaft sind. seine Clavier sind auch wircklich vom dauer. Er steht gut davor daß der Raisonanceboden nicht bricht, und nicht springt. wenn er einen raisonanceboden zu einem Clavier fertig hat, so stellt er ihn in die luft, Regen, schnee, sonnenhitze, und allen Teufel, damit er zerspringt, und dann legt er span ein, und leimt sie hinein, damit er recht starck und fest wird. er ist völlig froh wenn er springt; man ist halt hernach versichert daß ihm nichts mehr geschieht. Er schneidet gar oft selbst hinein, und leimmt ihn wieder zu, und befestiget ihn recht. er hat drey solche Piano forte fertig. ich habe erst heut wieder darauf gespiellet."
Während dieses Besuchs bei Stein lernte Mozart auch die 8jährige Tochter kennen: Nannette Streicher, geborene Anna-Maria Stein (* 2. Januar 1769 in Augsburg; † 16. März 1833 in Wien). Sie spielte ihm vor und er bemängelte ihren Anschlag etwas („Sie kann werden: sie hat genie. aber auf diese art wird sie nichts"). Sie wurde auch keine Pianistin, sondern eine ganz herausragende Clavierbauerin. Sie heiratete den Pianisten und Clavierbauer Johann Andreas Streicher 1794 und führte das väterliche Erbe (ab 1792 in Augsburg, ab 1794 in Wien) zusammen mit ihrem Bruder, dann nach geschäftlicher Trennung der Geschwister (1802) mit ihrem Mann fort. Sie entwickelte die frühe Steinsche Form der Flügel weiter, baute als erste ein Pedal statt der bislang benutzten Kniehebel an ihre Flügel und vergrößerte den Klang und den Tastaturumfang. Mit diesen Neuerungen reagierte sie auf Wünsche von Ludwig van Beethoven, der die neuen Streicherschen Claviere sehr schätzte. Ihm führte sie sogar zeitweise den Haushalt und wachte über seine Finanzen.
Der Bruder Nannettes Matthäus Andreas Stein (* 12. Dezember 1776 in Augsburg; † 6. Mai 1842 in Wien) führte nach der Auflösung der Firma „Frère et Soeur Stein“ seine Firma ab 1802 unter dem Namen „André Stein“ weiter. Sein Sohn Carl Andreas Stein (* 4. September 1797; † 28. August 1863 in Wien) war ebenfalls ein geschätzter Clavierbauer.
Nannettes Sohn Johann Baptist Streicher (* 3. Januar 1796 in Wien, † 28. März 1871 ebenda) entwickelte die Firma endgültig zu einem führenden Betrieb in Wien und in Europa. Seine Flügel begeisterten Liszt, Mendelssohn und viele große Pianisten seiner Zeit. Johannes Brahms spielte einen Streicher-Flügel von 1868 bis an sein Lebensende. Dieser Flügel ist leider vernichtet worden. Brahms schrieb über seine Beziehung zu seinem Flügel von Streicher „Es ist eine ganz andere Sache, für Instrumente zu schreiben, deren Eigenschaften und Klang man beiläufig im Kopf hat und welche man nur geistig hören kann, als für Instrumente zu schreiben, die man durch und durch kennt, so wie ich dieses Piano kenne. Bei diesem weiß ich immer genau, was ich schreibe und warum ich auf die eine oder andere Weise schreibe.“
Emil Streicher (* 24. April 1836 in Wien; † 9. Januar 1916 ebenda) trat 1857 in die Firma seines Vaters ein und führte sie nach dessen Tod allein weiter. Emil Streicher verkaufte 1896 das Unternehmen an die Gebrüder Stingl.
Damit erlosch diese lange Familientradition einer handwerklich und innovatorisch überaus bedeutenden Claviermanufaktur.