Presse 2018

Göttinger Kulturkalender Dezember 2018

Clavier-Salon: Nix Rundes und doch was Ganzes
Gerrit Zitterbart spielt Beethoven - zum 248. Geburtstag

16.12.1770, Bonn, es ist der Dritte Advent. Vermutlich kommt der kleine Ludwig van B. an diesem Tage zur Welt, eventuell bereits am 15.12. Überliefert ist, wie damals Tagen üblich, allein das Datum der Taufe, der 17.12. - Sei‘s drum: Gerrit Zitterbart hat den Dritten Advent dieses Jahres gewählt, um mit seinem Konzert den wohl berühmtesten Komponisten der „klassischen Musik“ zu ehren. Mit Werken für das Klavier, naturgemäß - entstanden zwischen 1801 und 1826; im März 1827 verstarb Beethoven.

Drei kleinere Werke eröffnen den Abend, wobei es Clavier-Salon typisch gleich etwas zu entdecken gibt. Das Präludium f-Moll WoO 54 (= Werk ohne Opus 54) sowie die Bagatelle C-Dur WoO 56 werden nun wahrlich nicht häufig gespielt. Das 1803 entstandene Präludium könnte, bis auf das Ende und die ein oder andere harmonische Farbe, glatt aus der Barockzeit stammen. Den 3/2-Takt durchzieht eine beide Hände durchwandernde, scheinbar endlose Achtelkette; der Ausdruck schwankt zwischen Resignation und Unruhe seltsam hin und her. Die gänzlich unprätentiöse Spielweise Zitterbarts lässt dem kurzen Werk allen gebührenden Raum.

Die Bagatelle C-Dur WoO 56 (1804) lässt eher an Beethoven denken: Stabiles C-Dur geht anders - eine unsicher-stolpernde Quinte gibt ausreichend Anlass zum Tonartenraten, erst die letzte Achtel des zweimal 8 Takte langen A-Teils erreicht endlich, endlich C-Dur. Ob Beethoven hier bei Haydn Anleihe nahm? Letzterer war ein Meister dieser Art von musikalischem Spaß. Ein kleines Trio folgt in dieser Bagatelle, bevor der A-Teil wiederkehrt. Keine Ahnung, ob sich Beethoven an dieses - sein eigenes - Stück erinnerte, als 1819 Anton Diabelli alle namhaften österreichischen Komponisten bat, Variationen über ein vorgegebenes Walzerthema zu schreiben. Aber dieses Trio klingt definitiv wie eine vorgezogene Variation…

„Klavierstück a-Moll WoO 59“ (1810) vermerkt der Programmzettel recht sachlich. Nach fünfeinhalb Tönen jedoch weiß jede(r) der gut 30 Hörerinnen und Hörer Bescheid. „Für Elise“. Wieviel Klavierschülerkarrieren wohl wegen dieses Werkes begannen? Berühmter dürfte von Beethoven nur der Beginn seiner V. Symphonie sein. Überhaupt ist es bemerkenswert genug, dass eines Komponisten ‚Werke ohne Opus‘ ordentlich nummeriert werden.

Als letztes Werk (mit ordentlicher Opusnummer) vor der Pause erklingt die Sonate d-Moll op.31,2 (1801/1802), bekannt unter ihrem Beinahmen „Der Sturm“. Letzterer geht auf eine vom Biographen Schindler behauptete Äußerung Beethovens zurück, die Sonate stehe mit dem gleichnamigen Shakespeare-Werk in Verbindung.

Der gebrochene A-Dur-Akkord des allerersten Anfangs markiert nicht nur die Abschnitte des ersten der drei Sätze, sondern taucht in mannigfacher Form an vielen Stellen der Sonate wieder auf. Diese Art des Komponierens – kleinste Urmotiven ausschlachten, neu beleuchten, als Basis für alles Folgende verwenden - wird Beethoven in seinem Werk immer wieder, in zunehmender Verdichtung anwenden. Der Flügel nach Anton Walter, 1795, ist hierbei ein äußerst dankbarer Partner. Nicht nur darf die ein oder andere Besucherinn rätseln, wie Gerrit Zitterbart die Pedale bedient; denn es sind keine am Flügel zu sehen! (Auflösung: Bitte schauen Sie selbst einmal im Salon vorbei…). Der deutlich kürzere Nachhall des alten Instruments im Vergleich zum modernen Konzertflügel lässt den Akkord endlich einmal so zerbrechlich erscheinen, wie er wohl gedacht war. Endgültig beim Instrumental-Rezitativ am Ende der Durchführung des ersten Satzes dürfte jeder die Vorzüge dieser alten Instrumente entdeckt haben. So sanglich wird man es auf den modernen Klavier„schlachtschiffen“ niemals zu hören bekommen. Wie der Notentext verlangt, trägt Gerrit Zitterbart dieses Rezitativ sehr frei vor, überhaupt erhalten alle Auftritte des gebrochenen Akkords, ob anfangs oder später, die nötige Ruhe und Weite. Hier disponiert offensichtlich jemand sehr gekonnt das musikalische Material.

Die notwendige Schärfe geht seinem Vortrag an den entsprechenden Stellen dabei aber keineswegs ab: Die Praller im dritten Satz kann man schwerlich akzentuierter spielen; bei dem ein oder anderen sforzato hat man Angst ums Instrument. Angeblich soll ja Beethoven den ein oder anderen Flügel zu Bruch gespielt haben…

Gänzlich andere Töne dann nach der Pause: Mit den 6 Bagatellen op. 126 (1823/24) betreten wir die Welt des späten Beethoven. Äußerst schroff stehen hier Ideen, Ausdruckswelten gegeneinander. Volksliedhaftes, (scheinbar) Schlichtes - ein paar Takte weiter plötzlich Musik wie so eben grade aus dem Granit gehauen. Wer die späten Streichquartette und Klaviersonaten kennt, wird manche Wendung, Idee, Anlage vertraut finden – alle anderen hatte Zitterbart bei seinen einleitenden Worten auf den Stilwechsel im Vergleich zur ersten Konzerthälfte vorbereitet. Natürlich gibt es auch einige Hinweise zu den technischen Veränderungen, welche der nun verwendete Flügel, Anonymus 1825, aufweist.

Die Sonate Es-Dur op.81a „Les Adieux“ (1809/10) setzt den Schlusspunkt des Abends. ‚Lebewohl‘, ‚Abwesenheit‘ und ‚Das Wiedersehen‘ - so die Überschriften der drei Sätze - beziehen auf die Flucht des Erzherzogs Rudolf vor den Truppen Napoleons. Vermutlich wird man diese Sonate noch spielen und hören, wenn von Erzherzog oder Napoleon kein Mensch mehr was weiß. Abschied, Trauer, Freude sind hier in beinahe zeitloser Weise in Töne gesetzt, so fällt der Nachvollzug nicht schwer. Wie es zu Beethoven mehr als nur passend ist, hält Gerrit Zitterbart den Ausdruck dennoch stets im klassischen Maß. Bei allem Gefühlsüberschwang (dem man sich hingeben könnte) bleibt stets der Blick für die Form gewahrt; mithin keine bloße Aneinanderreihung einzelner schöner Takte, sondern ein gelungenes Ganzes aus dem Wissen um die Form und ihren strengen, vom Komponisten erdachten, Aufbau. Und dieser liegt bei Beethoven häufig gut sichtbar, wie eine an die Erdoberfläche tretende Goldader, vor einem.

„Ganz gegen meine Gewohnheit und ‚nur‘ für Ludwig van Beethoven“ (Zitterbart) als Dank für den Applaus eine besondere Zugabe. Erst 2008 in einem der letzten Skizzenbücher des Komponisten entdeckte Peter McCallum eine kleine Bagatelle in f-Moll. Sie ist der Abschied von Beethoven. Für diesen Abend.

Björn Steinhoff

 

Göttinger Kulturkalender Juli 2018

Die Abendplanung in dieser Woche gestaltete sich denkbar einfach: 19.45h, Clavier-Salon im Stumpfebiel. Es gibt Beethoven.

Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag. Sonntag. Und am Sonntag sogar gleich dreimal. Alle 32 Klaviersonaten in chronologischer Reihenfolge.

Gerrit Zitterbart hat mit seinen Studentinnen und Studenten der Hochschule für Musik, Theater und Medien, Hannover, ebendort vor zwei Wochen dieses Projekt gestemmt. Nun steht die Wiederholung in Göttingen an. Alle 32 werden es dann nicht werden; eine Darbietung musste wegen Krankheit leider entfallen. Aber kleine Makel heben Schönheit nur hervor, oder?

Aus Deutschland, Polen, Litauen, Korea sowie China stammen die sechzehn Musikerinnen und Musiker, welche dieses „Neue Testament der Klaviermusik“ (Hans von Bülow) in sieben Konzerten zu Gehör bringen (Namen/Werke am Ende des Artikels). Dabei steigert sich der Zuhörerzuspruch von Abend zu Abend – lediglich Sonntag früh um 11h sind nur die Hartgesottenen dabei. Beim dargebotenen Programm allerdings hätte ich der Veranstaltung mehr Publikum gewünscht. Wie häufig gibt es solch Gelegenheit?!?

Die dargebotenen Leistungen hätten ebenfalls mehr Zuhörer verdient. Von solide bis teils großartig reicht das Spektrum – und hier ist es wichtig zu wissen: Gerrit Zitterbart hatte alle seine Studentinnen/Studenten zum Mitwirken „verdonnert“. Dabei kommen ganz unterschiedliche Studiengänge zusammen: Klavier (B.Mus.), Künstlerisch-pädagogische Ausbildung (B./M.Mus.), Soloklasse, Tasteninstrumente (M.Mus.) Klavier oder Hammerflügel - entsprechend unterschiedlich sind Fähigkeiten und Niveau.

Je nach Interessenlage der Musikerinnen/Musiker fällt somit die Wahl des Instrumentes aus. Im Clavier-Salon stehen schließlich zehn Instrumente aus der Zeit von 1795 bis 1898 zur Auswahl. Hr. Zitterbart sowie die Hammerflügelstudis wählen jeweils das zur Kompositionszeit „passende“ Instrument, während alle übrigen auf den Bechstein, 1890, zurückgreifen. Letzterer ist klangmäßig für den kleinen, kuscheligen Clavier-Salon beinahe zu mächtig, doch gelingt es allen Interpreten ihre Kraft (zumeist) zu zügeln. Am letzten Abend darf man (bei op.110) sogar erleben, wie zart man mit dem Bechstein umgehen kann.

27 Jahre liegen zwischen der ersten (1795) und der letzten Sonate (1822). Den Großteil seines (Kompositions-)Lebens hat der Berufspianist Ludwig van Beethoven (1770-1827) mit der ‚Klaviersonate‘ gerungen. Zwei weitere Gattungen haben ihn ebenfalls lebenslang und immer wieder beschäftigt: Streichquartette und Symphonien. Und auch wenn Beethoven ebenfalls Viola und Violine beherrschte, Orchester dirigierte, so ist doch das Klavier sein ureigenes Ausdrucksmittel. Und so sind die Klaviersonaten gleichsam unser privater Zugang zu Beethoven, zu seinem Kosmos. 32 unterschiedliche Wege gibt dabei in diese Welt. Alles, was seitdem unter ‚Klaviersonate‘ läuft, musst sich wohl oder übel an diesen 32 Versuchen messen.

Recht unerwartet stellt sich bei mir am dritten Abend zudem ein merkwürdiger Effekt ein – es ist, als blättere man im Tagebuch eines Verstorbenen. So unmittelbar, so eindringlich es, wenn ausschließlich Werke eines Komponisten erklingen, mithin die konzertübliche Melange unterbleibt.

Drei Sonaten spielt eine Interpretin/ein Interpret in diesem Zyklus höchstens; zumeist sind es weniger. Eine „stimmige“, eine „Interpretation aus einem Guss“ kann es dabei natürlich nicht geben. Das erweist sich als unverhoffter Gewinn! Sicherlich: Die Zugänge, die technische Umsetzung, die musikalische Gestaltung sind jedes Mal andere, doch die Vielgestalt, die unendlichen Möglichkeiten wie man denn diese 32 Sonaten zum Klingen bringen kann, wird so erst recht deutlich! - Und etwas Weiteres wird allzu klar: Beethoven verschwindet nicht hinter der Interpretation. Wie unterschiedlich die Musiker es auch angehen mögen – das Ego des Komponisten steht an erster Stelle. Mit Schubert, z.B., sähe das vielleicht anders aus?

Der Wechsel zwischen zeitgemäßen Instrumenten – Flügel nach A. Walter von 1795 und nach Dulcken, 1815 – sowie dem anachronistischen Bechstein, 1890, ist bei Konzerten im Salon stets ein Erlebnis für sich. Bei den Sonaten auf den älteren Instrumenten wird zudem augenfällig, dass Beethoven bis an die Grenzen geht. Die der Klaviatur (auf den modernen gibt‘s oben & unten noch ein paar Tasten); die der möglichen Lautstärke. Viel zarter gebaut, ohne den noch nicht erfundenen Gussrahmen, fordert der Komponist das Äußerste: So erzittert bei manchem fff das Klavier in den Grundfesten. In Verbindung mit den lederbezogenen Hammerköpfen lässt dies die Musik auf den beiden Oldtimern intimer, gesanglicher und - besonders im Bassbereich – durchsichtiger erscheinen. Einigen Interpretinnen gelingt es beinahe diese Art Transparenz auch auf dem Bechstein zu erzielen, dennoch hätte ich mir gewünscht, dass nicht nur die Hammerflügelfans unter den Studentinnen /Studenten zu den ‚alten‘ Instrumenten gegriffen hätten.

27 Jahre –Beethoven geht in dieser Zeit auch an die Grenzen seiner Kompositionskunst- und verschiebt sie ständig weiter. Sicherlich hat er nicht an einem Vormittag des Jahres 1815 gedacht „und jetzt beginnt das Spätwerk“, doch die scheinbar leblose, hergebrachte Aufteilung in Früh-, Mittel- und Spätwerk gewinnt im Rahmen dieses Marathons an Lebendigkeit. Teilt sich anfangs das Werk noch in brillante, virtuose Musik für den eigenen Vortrag (op.7 als Startpunkt, op.13. etc.) und Literatur für (halbwegs) begabte Laien (z.B. op.49), so durchdringen sich in der „Waldstein“, der „Appassionata“, op.54 & 57, das technische und das kompositorische Problem („Was ist Sonate?“) unauflöslich einander. Die Brückenwerken op.78 bis op.90, die ausnehmend gut gelangen!, sind dann unsere Hinführung zum Spätwerk. Ein Gewinn dieses Konzertmarathons ist sicherlich, dass es viel leichter fällt, den Weg hin zu diesen fünf letzten Sonaten zu verstehen. Mag die völlige Taubheit ab 1815/1818 das ihre zum radikalen Umgang mit dem musikalischen Material beigetragen haben, so erscheint die Konzentration, die Verdichtung in diesen letzten Werken der folgerichtige Schluss aus dem einmal beschrittenen Weg zu sein. Ein Stehen-bleiben beim einmal erreichten jedenfalls, scheint kein Wesenszug des Komponisten gewesen zu sein.

Wie lebendig, klug, technisch versiert und musikalisch z.T. sehr(!) junge Musikerinnen und Musiker diesen Kosmos ausgemessen haben, ist zu einem meiner beglückendsten Konzerterlebnisse geworden. - Unerfreuerlicherweise hat Beethoven nur 32 Sonaten geschrieben… und op.28 ist mein neuer Liebling….

Pianistinnen und Pianisten in umgekehrt alphabetischer Reihenfolge, dahinter das jeweils gespielte Werk:

Gerrit Zitterbart – opus 2,1, op.27,2, op. 53
Alvyda Zdanevičiutė – op.26, op.31,1, op. 79
Cunmo Yin – op.57, op.106
Zifan Ye – op.7, op.22
Anna Katharina Schilling – op.49,2
Nahyun Park – op.28, op.81a, op.111
Kaja Nieland – op.49,1
Borun Li – op.31,2, op.101
Juhyeon Lee – op.10,1-3
Anna Krzemionka op.14,1
Ye Eun Kim – op.27,1, op.31,3
Giran Jung – op.2,3, op.109
Hinako Inoue – op.2,2
Lanxi He – op.78, op.90
Yuzhe Gu – op.110
Inga Bogdan – op.13, op.54

Björn Steinhoff

 

Göttinger Kulturkalender Juli 2018

Am vergangenen Donnerstag lud das Ehrbar!-Ensemble in den Göttinger Clavier-Salon. Anlässlich des sich jährenden Geburts- sowie Todestages Lili Boulangers stellten sich die Musiker_innen der Frage nach den komponierenden Frauen. Denn – das überrascht hoffentlich niemanden mehr – so selten sie im Fokus stehen, so sehr begabt sind sie häufig.

Zu hören waren Kompositionen von Clara Schumann, Fanny Hensel, Lili Boulanger, Cecile Chaminade sowie Vitezslava Kaprálová, um nur einige der Künstlerinnen zu nennen, die den Abend prägten. Gegenübergestellt wurden sie männlichen Kollegen wie u.a. Frédéric Chopin, Gabriel Fauré, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Francis Poulenc. Durch das Programm führte Rudolf Krieger, der zudem die Melodramen sprach. Durch seine Ein- und Überleitungen unterstrich er, mit wie viel Klugheit und Feinsinn die Stücke zusammengestellt waren. Hier von bloßer Gegenüberstellung von Komponistinnen und Komponisten zu sprechen, ist der Sache nicht angemessen; vielmehr handelte es sich um ein Spiel zwischen Ergänzung und Unterscheidung, Vergleichbarkeit und Eigenheit der Kompositionen.

Dieser Befund ist übertragbar auf den gesamten Konzertabend insofern, als den besonderen Genuss ausmachte, über das Vergleichen an sich hinauszugehen, also sich einzulassen auf Bekanntes und Unbekanntes und sich von beidem gleichermaßen mitnehmen zu lassen.

Einen Höhepunkt des Programms bildete Kaprálovás Melodram für Sprecher und Klavier Karlu Capovki, das mit seiner Tiefe und Dichte den Clavier-Salon in beeindruckender Weise ausfüllte. Flötistin Heike Malz, Gerrit Zitterbart am Klavier und Rudolf Krieger als Sprecher boten hier ein Zusammenspiel dar, das einfühlsam abgestimmt vermochte, Schmerz und Ernst des Textes zum Tod Karel Čapeks zu vermitteln.

Nicht nur hier, sondern auch andernorts im Programm wurde deutlich, welch ein Gewinn Heike Malz, die Solo-Flötistin bei der NDR Radiophilarmonie ist, für den Abend war. Üblicherweise nicht Teil des Ensembles, bereicherte sie um sehr klaren, aber auch dunklen und warmen Klang. Ihr Spiel in merkbarer Kommunikation mit ihren Mitspieler_innen trug einen wesentlichen Teil bei zum Gesamteindruck des Ensemblespiels.

Heidrun Blase als Sopranistin überzeugte durchweg, etwa in Jules Massenets Elegie in f-Moll, in der sie, wie den gesamten Abend, in Einigkeit von Stimme und Gestik erkennbar Freude an der Darbietung hatte. So inszenierte sie jeweiligen Ausdruck in den Stücken mit entsprechender, doch nicht unruhiger Vielseitigkeit.

Bedauerlich ist, dass die Dynamik in den Melodramen zeitweise dazu führte, dass Kriegers Sprechstimme schwer hörbar war. Insbesondere aber wäre ein größeres Publikum wünschenswert gewesen, denn der Konzertabend war ein äußerst gelungener. Darin schien sich das Publikum einig zu sein und umso schöner ist es, dass allen, die dem Konzert nicht beiwohnen können, noch eine Chance haben: Ehrbar! wird das Programm des vergangenen Donnerstags in Bälde auf CD aufnehmen.

Bereichert durch den Ritt über Generationen-, National, Epochen- und nicht zuletzt Geschlechtergrenzen hinweg, bleibt zu sagen: Nicht Komponistinnen gegen Komponisten, sondern Musiker_innen miteinander waren im Clavier-Salon zu erleben.

Anna-Lena Heckel

 

Göttinger Kulturkalender April 2018

Zum Eröffnungskonzert der ClavierTage Göttingen gab sich das Klenke Quartett (1. Violine Annegret Klenke, 2. Violine Beate Hartmann, Viola Yvonne Uhlemann, Violoncello Ruth Kaltenhäuser) die Ehre. Das Quartett besteht in gleicher Besetzung seit 1991 – und das hört man auch, denn sie sind in jeder Hinsicht ein eingespieltes Team und darüber hinaus auch ausgezeichnete Mozart-Expertinnen.

Die vom Claviersalon organisierte Konzertreihe fand in Kooperation mit der evangelisch-reformierten Kirche Göttingen statt. Die ist in jeglicher Hinsicht der ideale Veranstaltungsort für ein kammermusikalisches Konzert. Die Kirche wurde nämlich ehemals als Hörsaal konzipiert und bietet durch die runde Anordnung der Sitzbänke allen BesucherInnen einen nahen Blick auf die Konzertierenden – und der hat sich gelohnt!

Schon bei den ersten Bogenstrichen des beschwingten Allegro des Streichquartetts G-Dur KV 387 von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) fällt die glasklare Akustik der Kirche auf, jede Phrase ist deutlich zu hören und die oftmals verschwommene und unklare Resonanz von sakralen Gebäuden blieb aus. Dass die Kirche auch optisch eine gute Bühne durch die Nähe zu den Musikerinnen bietet, ist bei diesem Quartett von Vorteil. Auch wenn es hauptsächlich um den Hörgenuss geht, werden diese Freuden noch gesteigert, wenn man die erfahrenen Streicherinnen in ihrem Spiel beobachtet – fast schon parallel zueinander bewegen sich die erste und zweite Violinistin und zeigen große Freude an der Verspieltheit des Quartetts, als sie sich immer wieder zulächeln und insbesondere im dritten Satz die Melodie beschwingt von Bogen zu Bogen weiterführen. In diesem Andante kommen die vielseitigen Klangqualitäten der Streicherinnen besonders zum Vorschein. Auch wenn die erste Violine typischerweise im Vordergrund steht, so haben auch die ersten Instrumente Gelegenheit, sich zu präsentieren. Auch wenn dieses Quartett, ebenfalls unter dem Namen 1. Haydn-Quartett bekannt, sich in der typischen Leichtigkeit der Wiener Klassik bewegt und nicht für große Überraschungsmomente sorgt, gab es doch einen irritierenden Moment für das Publikum – nach einem Trugschluss erheben die ersten ZuhörerInnen die Hände, nur um festzustellen, dass mit ihren Hörgewohnheiten gespielt wurde.

Nach kräftigem Applaus betraten die Musikerinnen wieder die Bühne, ohne die zweite Violinistin, dafür aber mit Gerrit Zitterbart, der am Klavier Platz nahm. Die ersten Klänge des einleitenden Allegros des Streichquartetts g-Moll KV 478 sind schon deutlich energischer als die des vorigen Quartetts. Zitterbarts Hände scheinen nicht nur über die Tastatur zu gleiten, sondern auch in einem etwaigen innehaltenden Gestus das Stück zu dirigieren. Und tatsächlich wirkt auch diese Kombination der MusikerInnen äußerst harmonisch, wenn beispielsweise durch das Klavier eine Melodie eingeführt wird, die in hoher Abstimmung von den Streicherinnen anschließend verhandelt wird. Am Schluss des schwelgenden Andantes ein Innehalten, um abschließend noch einmal die Finger fliegen zu lassen und vielerlei Emotionen musikalisch darzustellen. Mit großem körperlichem Einsatz unterstrichen die MusikerInnen ihre hervorragende Darbietung, so dass man vor der Pause in viele begeisterte Gesichter schauen konnte.

Die ZuhörerInnen, die keine Mozart-Expertinnen sind, wären bei dem Streichquartett C-Dur KV 465 bestimmt nicht auf Mozart gekommen, denn es beginnt ungewöhnlich dissonant, doch nach ein paar Takten kehrt der für Mozart charakteristische Klang zurück. In ausdrucksstarker Manier spielten die Musikerinnen genussvoll das letzte Stück und präsentierten nochmals sowohl technische, als auch klangliche Perfektion. Insbesondere der finale Satz ließ nochmals über die besondere Akustik der Kirche staunen – jeder noch so schnelle Lauf war detailliert zu hören.

Nach kräftigem und langem Applaus kamen die Musikerinnen ein letztes Mal in die Mitte der Kirche, ihre Lieblingszugabe im Gepäck: die Chaconne von Henry Purcell (1659-1695). Nach diesem ruhigen Ausklang verließen die ZuhörerInnen sichtlich zufrieden das Konzert, das kein besserer Auftakt hätte sein können.

Amelie May

 

Göttinger Kulturkalender Februar 2018

Die schöne Müllerin gesungen von Henryk Böhm - dieser Liederzyklus stand am Programm des Clavier-Salons. Viele Leute sind gekommen wegen der Müllerin, viele sind gekommen wegen des Baritons Henryk Böhm, alle sind geblieben für die Winterreise gesungen von Luciano Lodi.

Henryk Böhm war kurzfristig erkrankt, ein Substitut für Die schöne Müllerin wurde nicht gefunden, aber Herr Lodi sprang „quasi über Tag“ ein mit der Winterreise und bereitete den ca. 40 Gästen einen wundervollen Liederabend.

Gerrit Zitterbart, Begleiter am Klavier und Veranstalter des Liederabends führte den Programmwechsel mit dem Scherz ein, dass die Winterreiseeh viel besser zum Wetter heute Abend passe (es regnete heftig). In der Tat gilt dieses Werk als der traurigste Liederzyklus schlechthin. Es ist ein hoch emotionales Werk, technisch sehr anspruchsvoll und ein goldener Moment der Musik.

Das Alter des Baritons Luciano Lodi war die zweite Überraschung des Abends. Es gibt nur wenige Sänger unter 30, die diesen Zyklus im Repertoire haben. Doch das war auch seine Stärke. Ein junger Mann passt viel besser zur Geschichte der Winterreise als ein 50-jähriger mit grauen Haaren. Das Lied Gute Nacht markiert den Beginn der Reise. Ein junger Mann nimmt Abschied von seiner Herzensdame nach fruchtloser Liebe und bricht in die Kälte auf. Mit heller, klarer Stimme, feiner Artikulation und einer erstaunlich reifen Sanftheit eröffnete Luciano Lodi die Reise in den Weltschmerz. Seinen jugendliche Ausstrahlung, gepaart mit seinem intensiven Minenspiel addierte zu der emotionalen Geladenheit der Stimme.

Auf 24 Stationen erfährt der Wanderer Freude und Leid, bis ihn schließlich eine düstere Schwermut ganz umfängt. Die Klavierbegleitung steuert mindestens genau so viel zur Stimmung der Lieder bei wie der Gesang. Gerrit Zitterbart spielte auf einem antiken Flügel, der aus der Zeit Schuberts stammte. Mit seinem harten und trockenen Klang passte dieses Instrumte gut zum Tonus der Winterreise. Es dauerte ein paar Lieder bis sich Sänger und Klavierspieler aufeinander abgestimmt hatten. Bei Wasserfluth schließlich schmiegte sich das Piano des Klaviers an die hohen, zart verklingenden Töne der Stimme und durchbrach mit ausdrucksstarkem Forte die flehende Stille. Den Höhepunkt des Liederabends markiert Der Wegweiser, ein in ruhigem Tempo gehaltenes Lied, in dessen lang fließenden Passagen die milde Stimme von Lodi voll zur Geltung kam und einer Dame im Publikum ein inniges „schön“ entlockte.

Nachdem das hohe C des Leiermannswie ein Seufzen im Raum verklungen war, brandete ein starker Applaus auf. Vier Mal mussten die Musiker auf die Bühne eh das Klatschen verebbte. Keiner dachte mehr an Die schöne Müllerin.

Georg Hafner

 

Göttinger Kulturkalender Januar 2018

Ein reichhaltiges Programm, gespielt von der Pianistin Marcia Hadjimarkos, ließ am Samstagabend zahlreiche Besucher in den bis zum letzten Platz gefüllten Clavier-Salon strömen. Der Abend war geprägt von Erik Saties Werken, zu denen sich in feiner Abstimmung aber auch Stücke von Philip Glass, John Cage, Chick Corea, Francis Poulenc und Igor Strawinsky gesellten.

So begann das Konzert mit Saties träumerischer Gnossienne no. 5, gefolgt von der eindrucksvollen, melancholischen Tiefe von Philip Glasses „Metamorphosis no. 2“. Zu Beginn leicht monoton und schließlich immer wieder in vielstimmige Klangwellen übergehend. Anrührend, in akustisch vollendeter Wirkung des Salons, und feinfühlig wie zart gespielt – ein Genuss.

Besonders wurde der Abend jedoch zusätzlich durch das Zusammenspiel von Klavier und gesprochenem Text, wie sich in dem Stück „Witchita Vortex Sutra“ von Glass zeigte, zu dem begleitend das gleichnamige Poem von Alan Ginsberg ausdrucksstark in englischer Sprache vorgetragen wurde. Eine auch im akustischen Verhältnis fein aufeinander abgestimmte Mischung. So wurde die„Sonatine bureaucratique“ von Erik Satie zu einem humorvollen Erlebnis, verbal untermalt von Saties eigenen Worten und vorgetragen von Gerrit Zitterbart. Ein symbiotisches Zusammenwirken von Text und Klavierspiel.

Es entstand ein frisches und heiteres Programm, insbesondere durch die dynamischen Children´s Songs no. 12 und 4 von Chick Corea und den mehrteiligen Werken von Francis Poulenc und Igor Strawinsky sowie zum Abschluss mit dem „Golliwogg´s cakewalk“ von Claude Debussy. Etwas aus der Reihe tanzte hingegen das „Soliloquy“von John Cage, das durch seine Schwere in der Leichtigkeit der Auswahl wie ein Exot wirkte und den schwungvollen Fluss des Abends etwas ausbremste.

Marcia Hadjimarkos präsentierte in den facettenreichen und anspruchsvollen Musikstücken ihre Wandlungsfähigkeit, insbesondere in den schnellen, dynamischen Sequenzen, und sorgte mit Charme und humorvollen Kurzeinführungen in die einzelnen Stücke für eine leichte und heitere Atmosphäre. Die Antwort des Publikums: lang anhaltender Applaus und der Wunsch nach einer Zugabe, dem Stück „Gymnopedie no. 1“ von Erik Satie, das an diesem Abend natürlich nicht fehlen durfte.

Christiane Goos