Presse 2012

Göttinger Tageblatt März 2012

Vom Kuhstall in Gerrit Zitterbarts Clavier-Salon

Göttingen bekommt einen neuen Konzertsaal. Einen kleinen – und einen außergewöhnlichen obendrein. Vorher hatte dort, im Stumpfebiel 4, ein Schuhgeschäft Laden und Lager – nun stehen im neu hergerichteten Saal Instrumente. „Clavier-Salon“ nennt Pianist und Hausbesitzer Gerrit Zitterbart diesen Ort.

Dabei ist das C im Wort Clavier nicht etwa nostalgische Buchstabenspielerei, sondern verweist auf die Besonderheit dieser Institution: Sieben historische Instrumente aus der Zeit zwischen 1795 und der Gegenwart sollen dort stehen. Eröffnet wird der Clavier-Salon mit einer Konzertwoche, die am Mittwoch, 28. März, beginnt. Seit einem dreiviertel Jahr bereitet Zitterbart dieses Projekt vor. Stolz ist er auf die vier historischen Instrumente, die er jetzt schon hat aufstellen können. Zwei Hammerflügel sind originalgetreue Nachbauten nach Instrumenten von Anton Walter (Wien 1795) und Louis Dulcken (München 1815).

Riesige Auswahl

Wesentlich jünger, aber immerhin auch schon 130 Jahre alt ist der Ehrbar-Flügel, der 1882 in Wien gebaut wurde. Ihn hat Zitterbart – wie auch seine anderen Fundstücke – im Internet ergattert. Fündig wurde er häufig bei den „Friends of square pianos“. Die Auswahl ist riesig: „Du kannst ja endlos kaufen, wenn du genug Geld hast.“ Untergebracht war der Ehrbar-Flügel bislang in einem Kuhstall in der Nähe von Bielefeld. Einen Pariser Erard-Flügel von 1888 hat Zitterbart von einem Zahnarzt in Tulle bei Bordeaux gekauft, der ihn von seiner Großmutter geschenkt bekommen hatte. Auf diesem Instrument hat, wie ihm der Zahnarzt berichtete, der Komponist Gabriel Fauré gespielt. Also wird er auch beim Konzert am Freitag, 30. März, das Begleitinstrument für die Sopranistin Heidrun Blase sein, wenn sie Lieder von Fauré singt.

Bald wird ein englisches Museumsstück die Sammlung bereichern, ein 1840 gebauter Flügel von Robert Wornum, der eine sogenannte oberschlägige Mechanik besitzt. Dabei schlagen die Hämmer die Klaviersaiten von oben an, was mechanisch effizienter ist. Der Nachteil: Die Hämmer müssen nach dem Anschlag mit einer Feder hochgezogen werden. Ein Ende der 1820er Jahre in Wien gebauter Flügel ist in Arbeit. Ein moderner Steinway-Flügel soll als Gegenwarts-Endpunkt der Reihe historischer Instrumente hinzukommen.

Lebendiges Museum

Der Saal ist für rund 60 Zuhörer geeignet, bietet also eine recht intime Atmosphäre. Und Zitterbart stellt sich nicht nur „normale“ Konzerte – Clavier-Abende, Kammermusik und Liederabende sowie Kinder- und Jugendkonzerte – in diesem Raum vor. Er kann zugleich als ein lebendiges Museum genutzt werden, für Gesprächskonzerte von Studierenden der Musikwissenschaft, möglicherweise auch für die Fortführung der „Musica viva“-Reihe des Musikwissenschaftlichen Seminars. Außerdem erhalten hier Studierende von der Musikhochschule Hannover und anderer Hochschulen eine Gelegenheit, aktuelle Programme zu präsentieren. Zitterbart: „Wir wollen uns auf die spannende Suche nach der Konzertform von morgen machen.“

Göttinger Tageblatt März 2012

Zitterbart eröffnet den „Clavier-Salon“ am Stumpfebiel

Kaum ein Stuhl blieb frei, als der Göttinger Pianist Gerrit Zitterbart am Mittwoch seinen neuen „Clavier-Salon“ am Stumpfebiel 4 mit einem Konzert an vier Flügeln eröffnete. Alles roch noch nach frischer Farbe, die letzten Handwerker waren wenige Stunden vor Konzertbeginn mit ihrer Arbeit fertig geworden.

Der Saal ist hell, freundlich, nüchtern. Das Besondere an ihm ist nicht etwa die Innenarchitektur, sondern die instrumentale Bestückung. Und die dürfte nicht nur in Niedersachsen einmalig sein. Vier Flügel verschiedener Epochen der Musikgeschichte beherbergt der Raum, am Ende sollen es sieben sein. Alle sind sie nicht etwa Museumsstücke zum bloßen Anschauen, sondern spieltüchtig. Historisch reichen sie von der Mozart-Zeit bis zum späten Brahms.

Auf einem stilechten modernen Nachbau eines Hammerflügels von Anton Walter aus Wien aus dem Jahre 1795 eröffnet Zitterbart den Abend – mit dem C-Dur-Präludium aus Bachs Wohltemperiertem Klavier. Das macht deutlich, wie eng verwandt der Klang des Hammerflügels mit dem Cembaloklang ist: Die kleinen, mit Leder bezogenen Hämmer geben einen hellen, eher harten Ton. Er hat scharfe Konturen, und er ist in vielgriffigen Akkorden, wie Zitterbart anschließend an Mozarts B-Dur-Sonate KV 333 zeigt, ganz hell und transparent. Die harmonischen Kühnheiten des langsamen Satzes treten mit ungewohnter Deutlichkeit und Schärfe ans Ohr – man kann sich vorstellen, wie sie das Publikum des ausgehenden 18. Jahrhunderts schockiert haben.

Bass hat mehr Wucht

Auch Beethovens „Waldstein“-Sonate op. 53 ist noch für mit Leder bezogene Hämmer geschrieben. Am Neupert-Flügel nach Louis Dulcken (München 1815, im Bau ähnlich den Streicherschen Flügeln aus Wien) ist die Virtuosität, die Beethoven diesem Instrument auf den Leib geschrieben hat, faszinierend direkt. Der Diskant perlt so silbrig, als seien die Töne kurz vor dem Himmel angesiedelt, der Bass hat deutlich mehr Wucht als das Waltersche Instrument, ist aber noch auffallend transparent.

Ein Zeitsprung von knapp 70 Jahren: die drei Brahms-Intermezzi op. 117 aus dem Jahre 1890 auf einem Wiener Ehrbar-Flügel von 1882. Hier tönen die Bässe schon fast mit Posaunengewalt, weich und voll, samtener als zuvor. Würde man den Klang mit bildender Kunst vergleichen, wären wir gerade von der Grafik-Abteilung zu den Ölbildern gelangt. Am Schluss Chopin-Stücke – ein Prélude, zwei Walzer und die f-Moll-Fantaisie – auf einem Erard-Flügel von 1888. Die spezielle Art der Dämpfung lässt den Ton sanft verklingen, schneidet ihn nicht ab. Das ergibt wunderbar weiche Konturen.

Eines lehrt dieser Abend eindringlich: Wer nur moderne Instrumente hört, weiß gar nicht, wie viele Variationen der Klavierklang in seiner Geschichte erfahren hat. Und wie eng die Beziehungen der Komponisten zu ihren Instrumentenbauern gewesen sein müssen.

Göttinger Tageblatt April 2012

Leidenschaft und Virtuosität

Ein überaus interessantes Programm stellten Elisabeth Kufferath, Violine, und Gerrit Zitterbart, Klavier, am Mittwoch im „Claviersalon“ vor: Sie kombinierten Duowerke der beiden Wunderkinder Wolfgang Amadeus Mozart und Felix Mendelssohn-Bartholdy mit den „Märchenbildern“ von Robert Schumann und der großen A-Dur-Sonate von Cesar Franck. Der Weg führte somit von der Klassik zur Romantik, und gleichzeitig von der einfachen Form zur hochkomplexen Meistersonate. Gerade das vermeintlich Einfache hat es dabei ja oft in sich. Doch ging der liebenswerte Ton, den der 10-jährige Mozart in seiner Sonate G-Dur KV 27 anschlägt, den beiden Musikern wie selbstverständlich von der Hand. Spannungsreicher noch stellt Mendelssohn die Instrumente in seiner Sonate f-Moll op. 4 zueinander: In perfekter Ausbalancierung der Stimmen präsentierte das Duo ein kleines Meisterwerk, das der Komponist im Alter von 14 Jahren schrieb. Für Schumann tauschte Kufferath ihre Violine gegen die Viola ein, während Zitterbart an den Flügel aus der Werkstatt Friedrich Ehrbar, Baujahr 1882, wechselte. Zuvor hatte er den Klavierpart auf zwei heller klingenden Instrumenten, den historischen Nachbauten nach Anton Walter und Louis Dulcken bestritten. Wunderbar verschmolzen Viola und Klavier nun zu dem dunkel getönten, poetischen Klangstrom der „Märchenbilder“. Es mag an dem zwar voluminösen, aber doch samtig und abgeblendet wirkenden Klang des Ehrbar-Flügels liegen, dass sich Kufferath in der berühmten Franck-Sonate ein wenig von ihrem Duopartner absetzen und als initiierende Kraft profilieren konnte. Zwar gestaltete auch Zitterbart mit Verve, stemmte etwa dunkel dräuende Akkorde in die Tasten. Der Geigerin war dies indes ein eher weiches Klangbett, aus dem heraus sie ihre Attacken fuhr, ihre euphorischen Aufschwünge inszenierte, ihre bohrenden, aufwühlenden Klagegesänge erhob. Auf faszinierende Art und Weise verband die Musikerin in ihrem herrlich singenden Ton dabei den Furor der Leidenschaft mit einer Technik, die schlichtweg staunen machte. Ein riesiger Applaus der recht zahlreich erschienenen Besucher im Göttinger Claviersalon und das Adagio aus der d-Moll-Sonate von Johannes Brahms als Zugabe beschlossen einen großen Duoabend.

Göttinger Tageblatt Mai 2012

Erstaunlich reife pianistische Leistung

Schon etliche Wettbewerbe hat der 1991 in Seoul geborene koreanische Pianist Dongjoohn Lee gewonnen. Seit zwei Jahren studiert er an der Musikhochschule Hannover bei Gerrit Zitterbart. Sein Lehrer, der vor wenigen Tagen seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, präsentierte ihn am Freitag in seinem „Clavier-Salon“ mit einem vielseitigen Klavierabend.

Schon die erste Hälfte mit Präludium und Fuge G-Dur aus dem zweiten Band des Wohltemperierten Klaviers von Bach sowie zwei Sonaten von Haydn und Beethoven ließ aufhorchen. Sehr kraftvoll und profilscharf ist Lees erstaunlich reife pianistische Kunst.

Das bestätigte sich nach der Pause an vier Werken, die jedes auf eigene Weise musikalische Herausforderungen darstellen. Perlenden Anschlag verlangt die E-Dur-Sonate Scarlattis mit ihren Hörnerklang-Imitationen, eine bravouröse Oktaventechnik die h-Moll-Etüde Chopins aus seinem Opus 25.

Beides bewältige Lee ebenso perfekt wie die Schroffheiten und scharfen Kontraste in Prokofjews „Sarkasmen“ op. 17. Dem stellte er mit Debussys „L’Isle joyeuse“ eine faszinierende Klangfarben-Studie entgegen. In diesem Stück erwiesen sich die Qualitäten des Erard-Flügels von 1888, auf dem Lee das Programm vorstellte, auf besondere Weise: Es schien, als leuchteten hier Debussys Farben noch heller, als wirkten die Klänge noch duftiger als auf einem Flügel moderner Bauart.

Das Publikum war sich einig in seiner lautstarken Begeisterung für diesen Klavierabend. Die Zugabe als Dank für den Beifall: Rachmaninows Etüde D-Dur op. 39 Nummer 9.

Göttinger Tageblatt Juli 2012

Mitreißende Spritzigkeit und rhythmischer Pfiff

Nicht nur für Klaviermusik ist der Göttinger Clavier-Salon geeignet, sondern auch für Kammermusik. Das hat der mit Tasteninstrumenten des 18. und 19. Jahrhunderts bestückte intime Saal am Stumpfebiel seit seiner Eröffnung mehrfach zum Genuss der Zuhörer bewiesen. Am Dienstag gastierte das „Trio con Flauto“ aus Hannover, drei Studierende der Musikhochschule Hannover in der Besetzung Flöte, Violoncello und Klavier.

Das ist eine selten gepflegte Gattung. Doch der Reiz der Kombination aus hoher Bläser- und tiefer Streicherstimme mit Klavier ist groß – und so gibt es etliche Kostbarkeiten, von denen das Trio zwei Beispiele präsentierte: das F-Dur-Trio von Joseph Haydn und das 1944 komponierte Trio von Bohuslav Martinu. Das übrige Programm bestand aus Stücken für Flöte solo sowie Duos mit Klavier und Flöte beziehungsweise Violoncello.

Der Pianist des Trios, der 1991 geborene Koreaner Dongjoohn Lee, war schon mehrfach im Clavier-Salon zu Gast. Der Zitterbart-Schüler ist ein virtuoser, gewissenhafter und präziser Klavierspieler. Solistisch bewies er dies an Haydns c-Moll-Sonate sowie an Claude Debussys flirrend-fröhlichem Klavierstück „L’isle joyeuse“, kammermusikalisch neben den beiden Trios in Gabriel Faurés edler „Elégie“ mit Violoncello und der klangschwelgerischen Flöten-Fantasie desselben Komponisten.

Flötistin im Trio ist die 1986 geborene Katharina Meyer, die ihren großen (nur selten etwas rauen) Ton, ihre reichen klangfarblichen Möglichkeiten und ihren Sinn für durchdacht gestaltete Spannungsbögen solistisch in Luciano Berios „Sequenza“ vorführte. Bisweilen steht dieser Musikerin allerdings ihre Gewissenhaftigkeit etwas im Wege – Astor Piazzollas solistische Tango-Etüde könnte sicher etwas mehr Freiheit und Spielfreude vertragen, um nicht allzusehr nach Etüde zu klingen.

Für Kammermusik benötigen Musiker neben den eigenen technischen Fertigkeiten den Sinn für die Gestaltung des Gesamtklangs, das immer wache Bewusstsein dafür, in welchem Verhältnis der eigene Beitrag zu dem der Mitspieler steht. Darin glänzte vor allem die 1989 geborene Cellistin Jola Isberner, die neben ihrem wunderbar singenden Ton – den sie in der Fauré-Elegie strahlend blühen ließ – und ihrer dynamischen Flexibilität sehr viel Teamgeist mitbrachte. So konnte sich der bezaubernde Rokoko-Charme des Haydn-Trios ebenso entfalten wie die mitreißende Spritzigkeit und der rhythmische Pfiff des Martinu-Trios. Das Publikum im gut besuchten Saal bedankte sich mit reichem Applaus.

Göttinger Tageblatt August 2012

Junger Tasten-Poet

Superlative sind schnell zur Hand, wenn ein vermeintliches Wunderkind am Klavier Außerordentliches vollbringt. So auch am Montagabend im voll besetzten Clavier-Salon im Stumpfebiel: Ganze 14 alt ist der junge Russe Daniil Kharitonov, und spielt doch wie ein Großer. Mit Virtuosenstücken von Franz Liszt und Sergei Rachmaninow setzte er sein Publikum in Erstaunen. So ganz in seinem Element zu sein schien der Nachwuchspianist jedoch bei den eher lyrisch gestimmten Werken.

Mit Johann Sebastian Bach eröffnete der Gast aus Russland sein Konzert: Präludium und Fuge C-Dur aus dem ersten Band des Wohltemperierten Klaviers präsentierte er in romantisierender Manier. Mit nuanciertem Anschlag und feinen Rubati gestaltete er auch das Adagio aus Joseph Haydns letzter Sonate Es-Dur. In der „Arabeske“ von Robert Schumann zeigte sich, mit welch erfülltem Klang der junge Russe poetische Gedanken ausformulieren kann. Die „Elegie“ von Jean-Philippe Rameau (in einer Bearbeitung von Leopold Godowsky) geriet anschließend zu einem melancholischen Gesang in Ohrwurm-Qualität.
Bot bereits der erste Programmteil mit der Paganini-Etüde und der Ungarischen Rhapsodie Nr. 12 von Franz Liszt rechtes Virtuosenfutter, so setzte Kharitonov nach der Pause mit Werken von Sergei Rachmaninow weitere virtuose Glanzpunkte. Doch so imponierend seine Technik in den Préludes, seine im Stakkato donnernden Akkorde in der „Étude-Tableaux“ op. 39 Nr.9 sein mochten: Es waren doch die poetischen Stücke Peter Tschaikowskys, die dem zweiten Teil des Abends Tiefe und Gewicht gaben. So erlebten die Zuhörer in der „Meditation“ op. 72 Nr. 5 und den „Unterbrochenen Träumen“ wiederum einen Klavierpoeten von hohen Gaben. Begeisterter Applaus zuletzt auch für ein als Zugabe nachgereichtes weiteres Prélude von Rachmaninow.

Matthias Körber

Göttinger Tageblatt Oktober 2012

Leidenschaft und Feuer, Zärtlichkeit und Poesie

„Russisches Schatzkästlein“ von Januševičius

In seinem Heimatland Litauen hat Gintaras Januševičius schon als Heranwachsender eine Pianistenkarriere gemacht. Vor acht Jahren übersiedelte er nach Deutschland, um an der Musikhochschule in Hannover seine Ausbildung zu vervollkommnen: zunächst bei Vladimir Krajnew, nach dessen Tod bei Bernd Goetzke. Am Mittwoch stellte sich der 27-jährige Musiker im Göttinger Clavier-Salon vor.

Für dieses Konzert hatte er ein außergewöhnliches Programm zusammengestellt, betitelt „Russisches Schatzkästlein“: vorwiegend weniger bekannte Werke bekannter und unbekannter Komponisten. Mit Beethovens Variationen über einen russischen Tanz eröffnete er den kurzweiligen Abend und zeigte sogleich seine eindrucksvollen gestalterischen Qualitäten. Er baut große Spannungsbögen auf, spielt mit Leidenschaft und Feuer, ebenso aber auch mit Zärtlichkeit und Poesie.

Diese Fähigkeiten gaben ihm die besten Voraussetzungen für Tschaikowskys „Dumka“, mit der er den Abend fortsetzte: mit improvisatorischem Ansatz, grüblerisch, schwermütig, dann wieder mit glänzend virtuosem Zugriff. Ein scharf konturiertes Scherzo von Borodin und eine wunderschön singende „Melodie“ des spätromantischen Dirigenten, Pianisten und Komponisten Ossip Gabrilowitsch leiteten über zu zwei hochvirtuosen Liszt-Stücken, dem „Russischen Galopp“ und einer Klavier-Transkription aus Glinkas Oper „Ruslan und Ludmila“. Eine weitere Repertoire-Überraschung war Debussys „Ballade slave“, in der der Komponist wunderbar die russische Kamarinskaja-Melodie mit seiner unverwechselbar eigenen Harmonik parfümiert. Zum Abschluss folgten Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, in denen Januševičius abermals seine großen gestalterischen Qualitäten offenbarte. Bemerkenswert kontrastreich und mit viel Sinn für die klangfarblichen Möglichkeiten seines Instruments – diesmal war es ein Braunschweiger Steinweg-Flügel aus dem Jahre 1898 – interpretierte der Pianist dieses vielgestaltige Meisterwerk, das unter seinen Händen funkelte und glänzte.

Gewiss könnte Januševičius in virtuosen Passagen– hier und da blieben einzelne Töne fort – noch Gleichmäßigkeit und Transparenz verbessern. Doch was er an diesem Abend bot, war pianistische Kunst auf hohem Niveau. Für den überaus herzlichen Beifall bedankte er sich mit zwei Tschaikowsky-Stücken: der zärtlichen Valse sentimentale op. 51 Nr. 6 und der grazilen Gavotte aus dem Ballett „Dornröschen“.

Michael Schäfer

Göttinger Tageblatt Dezember 2012

Mutige Interpretationen von jungen Streichern

Normalerweise erklingen im Göttinger Clavier-Salon die historischen Flügel Gerrit Zitterbarts. Ein Konzert eines Streichquartetts war daher eine Premiere für die besondere Spielstätte in der Innenstadt – es konzertierte das an der Londoner Royal Academy of Music angesiedelte Alauda Quartet zum allerersten Mal in Deutschland. Sein Programm war dabei effektvoll auf starke musikalische Kontraste heruntergebrochen, seine expressiven Interpretationen setzten diese Ästhetik der Gegensätzlichkeit innerhalb der Werke überzeugend fort.

Dabei ging es mit Joseph Haydns Streichquartett g-Moll op. 74 Nr. 3 noch ganz unschuldig los. Aufgrund der programmatischen Motivik seiner Ecksätze trägt dieses Werk den überaus treffenden Beinamen „Reiterquartett“. Während sich das Allegro des ersten Satzes vor allem der motivisch-thematischen Arbeit verschreibt, zielt das Largo auf die harmonische Entwicklung ab, die sich in rührender Getragenheit langsam vollzieht. Cristina Prats-Costas Spiel reflektierte diese verschiedenen Schwerpunkte der Kompositionsarbeit Haydns zwar mit einiger Reife, drückte dem Werk aber löblicherweise – und das lässt sich auch über ihre Mitmusiker behaupten – ihren eigenen Stempel auf. Die jungen Musiker führten das Konzept der Kontraste vor allem in ihrer Ensembleynamik fort, die sie reich an stürmisch-lauten und sehnsüchtig-leisen Gegensätzen gestaltete.

Auch der Schlusssatz mag mit seiner übergangslos aneinandergereihten Dramatik und fast naiven Spielfreude gut zu diesem interpretatorischen Zugang passen. Selten erlebt man, wie eng sich die kompositorische Anlage eines Werks mit seiner Interpretation verflechten lässt. Dem Alauda Quartet ist dies mit Verve gelungen.

Da konnten es sich die vier Musiker auch erlauben, einem Musterbeispiel der Salonmusik der Wiener Klassik ein zeitgenössisches Stück des New Yorker Komponisten John Corigliano entgegen zu stellen. Das Scherzo und Notturno aus dem 1995 erschienenen „Streichquartett“ rufen starke Bilder hervor: Aus einem tonal entrückten Trümmerhaufen erhebt sich bei Corigliano eine liebliche Passage im fast klassischen Gestus, den die Zuschauer wie durch ein staubiges Fenster betrachten können. Milan Bergnics Violine und Rhoslyn Lawtons Viola sorgten insbesondere in diesem intensiven Moment der musikalischen Rückschau für dramatischen Ausdruck.

Nach der Pause gab es Robert Schumanns Streichquartett in F-Dur op. 41,2 zu hören – eine vortreffliche Wahl. Denn es scheint, als fügten sich in der mutigen Tonsprache Schumanns beide Gegenpole des ersten Konzertteils zusammen. Und Elena Cappalletti schenkte ihrem Publikum am Violoncello exakt gesetzte Synkopen, die das finale Allegro Schumanns beschwingt beschließen.

An diesem Abend passte die Werkauswahl so gut zur technischen Ausführung und den mutigen Interpretationen, dass die im Clavier-Salon normalerweise anzutreffenden Flügelklänge vom Publikum für keine Sekunde vermisst wurden.

Tobias Rhode